Freitag, 21. September 2012

Hühnchen ist kein Fleisch!



Kürzlich beim Ratespiel mit den Kindern: „Etwas, das wir jeden Tag essen und kein Fleisch ist?“ Ein Junge antwortete ganz eifrig: „Frango, frango (Hühnchen)“. Darauf antwortete ich: Aber Hühnchen ist doch auch Fleisch! Doch im gleichen Atemzug rief die Fragestellerin: Richtig, du bist der Nächste“!

Hühnchen ist also kein Fleisch. Und diese Diskussion führe ich hier ständig. Denn wenn ich an einem dieser unendlichen Essensstände mit massenweise frittierten oder gebackenen Snacks stehe, frage ich oft „Was gibt es denn ohne Fleisch?“ Die Antwort kenne ich eigentlich schon, denn meisten habe ich dann auch schon ein Gebäck mit Hühnchenfüllung oder ein Schinkencroissant in der Hand.
Wenn ich dann sage, dass Hühnchen oder Schinken doch auch Fleisch sei, dann denken sie oft ich habe es nicht verstanden und sagen es auf Englisch „chicken,chicken, no carne (kein Fleisch)“

Dem Konsum nach zu Urteilen ist Hühnchen dann eher mit dem deutschen Brot zu vergleichen. Ein Essen ohne gibt es nicht. Als Beilage gibt es dann noch Fleisch, täglich einem deutschen Sonntagsbraten nahe. Es gibt also Hühnchen und Fleisch, dazu Reis und Bohnen. Ohne das vergeht kein Mittag- oder Abendessen und ohne würden hier auch alle hungrig ins Bett gehen.

Der Fleischkonsum ist also etwas gewöhnungsbedürftig und wahrscheinlich habe ich in der Zeit hier so viel davon gegessen wie mein ganzes Leben lang nicht.
Ist aber auch kein Wunder, denn Hühnchen ist billiger als Gemüse und kostet, im Vergleich zu den sonst übertriebenen Lebensmittelpreisen, gar nichts.

Trotzdem- ich mag das Essen sehr, hab mich an Reis und Bohnen gewöhnt und freue mich jeden Tag von den Köchinnen mit einem liebevollen und typischen Essen verwöhnt zu werden.

Ansonsten  gibt es neben den ganzen Snackbuden  natürlich auch ein Früchtestand an jeder Ecke und der frisch gepresste Saft aus Ananans, Mango, Papaya, Bananen, ein Kokoswasser oder Zuckerrohrsaft sind bei derzeitigen Temperaturen goldwert.

Donnerstag, 20. September 2012

Ein Blick aus dem Fenster...




 Ein Lieblingsort, ein Blick aus meinem Fenster....

Morgens, wenn die Sonne über dem Meer steht und ich das langsame Aufwachen der Stadt vom Wohnzimmerfenster beobachten kann. Mittags, auf der Dachterasse, mit Blick auf den Zuckerhut und den weltbekannten Christo. Und abends,  wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet, die Stadt in Rot erleuchtet und sich dann ziemlich zügig in ein großes Meer von Lichtern verwandelt..  .


Leider schafft meine und wahrscheinlich auch keine andere Kamera dies festzuhalten.  Trotzdem- hier ein paar Eindrücke von diesem Ort, ein Lieblinsort..







Donnerstag, 13. September 2012

„Lernen zu lernen“



In Brasilien hängt schon die Grundbildung sehr stark vom Einkommen der Eltern ab.
Das Schulsystem ist in staatliche und private Schulen aufgeteilt. Eltern, denen es finanziell möglich ist, schicken ihre Kinder auf Privatschulen, weil die Bildungssituation um Welten besser ist und gewissermaßen zur Grundlage für die Aufnahmeprüfung der staatlichen Universität wird. Diese ist nicht nur umsonst sondern auch  die Beste. Staatliche Schulen sind gekennzeichnet von überfüllten Klassenräumen, ständig ausfallendem Unterricht, unterbezahlten und überforderten Lehrern/innen.
Die Kinder sind also fernab von einem lernförderlichen Unterrichtsklima.
Ein weiteres Problem ist, dass die Kinder nicht zum selbst Nachdenken angeregt werden, sie lernen nicht zu lernen. Textarbeit bedeutet zum Beispiel ein Text abzuschreiben. Es wird ihnen also nicht beigebracht Gelesenes zu behalten und wiederzugeben. Dadurch haben sie Schwierigkeiten in allen Fächern. Denn selbst in der Mathematik müssen ab einer gewissen Stufe Textaufgaben gelöst werden..
Man spricht dabei auch von einem funktionalen Analphabetismus. Sprache kann zwar codiert bzw. decodiert werden, jedoch nicht angewendet werden. Wenn man aber fragt, um was es im Text geht, bleibt es meist still im Raum ...

Und an dieser Stelle versucht das Projekt „To ligado“ einzugreifen. Zum einen durch ergänzende Aufgaben wie selbst Texte zu schreiben oder Fragen zum Text beantworten, zum anderen durch kreative Aufgaben wie Gitarren- Tanz- oder Hockeyunterricht. Den Kindern soll gezeigt werden, dass sie fähig sind zu lernen. Sie sollen lernen zu lernen. Sie sollen sich ausprobieren können und ihr Interesse wecken, darin gefördert und wertgeschätzt werden. Ihr Selbstwertgefühl soll gesteigert werden und sie sollen Spaß an etwas finden.

Zwei Wochen bin ich nun schon hier und ich kann sagen, dass ich jeden Tag mit  Begeisterung nach Hause gehe.
Begeistert von der respektvollen Art im Umgang der Kinder und Jugendlichen. Sie wissen sich zu entschuldigen, sie schätzen sich sehr, Außenseiter/innen gibt es nicht und ein „du darfst nicht mitspielen“ auch nicht.
Ich schätze ihre Geduld, wie sie mir ein Spiel auch gerne fünfmal erklärten wenn ich anfangs noch Verständnisprobleme hatte. Und wenn ich dann doch Fehler machte, war das auch kein Ding.
Ich liebe ihre Offenheit für alles was angeboten wird. Egal ob Hockey, Tanz oder Theater, ein „das ist nur für Mädchen“ oder „Darauf hab ich keine Lust“ gibt es nicht. Sie lassen sich darauf ein.
Und ich freue mich, wenn ich sie in ihrer Pause eifrig Gitarre üben höre, Bingo auf Englisch spielen sehe oder wenn sie nach der „Lesestunde“ noch ein Bild zur Geschichte malen wollen...

Ich bin gespannt auf das Theaterprojekt, das schon weitgehend einstudiert ist, und wofür wir in den kommenden Tagen die Kostüme zu Ende basteln werden und das Bühnenbild fertig machen wollen. Dann schaffen wir es hoffentlich schon bald den Film aufzunehmen.

Die Zeit rennt und die Beziehungen werden immer enger. Ich bin froh, dass wir im Moment so viele Mitarbeitende sind und den Kindern viel Aufmerksamkeit schenken können und gleichzeitig bin ich traurig über ihre Verwunderung, dass sich jemand für sie interessiert. Viele scheinen das nicht zu kennen.
Dort wo sie herkommen zählt Gewalt als Kommunikationsmittel, es herrscht Krieg zwischen verschiedenen Banden. Auch wenn er im Moment ziemlich still ist, ist immer die Unsicherheit da, wann er wieder ausbricht.
Schon deshalb ist es gut, dass die Kinder und Jugendlichen ins Projekt kommen, dass sie den Nachmittag an einem sicheren Ort verbringen.






Samstag, 8. September 2012

Bonde


Überall ist die Stadt geschmückt mit Street Art. Egal wo man lang spaziert, es lassen sich die schönsten Gemälde, Graffitis, Gedichtszeilen, Liebeserklärungen und der „Bonde“ entdecken.

Bonde- das ist die einst gewesene Straßenbahn, die seit 1859 ihre Runden durch die Stadt drehte- damals noch von Eseln gezogen. Seit einigen Jahren gab es  nur noch eine Strecke, die durch das im Kolonialstil geprägte Stadtviertel „Santa Teresa“ fuhr , das berühmt ist für die schönen Häuser, das Kopfsteinpflaster  die Künstler/innen, die sich seit den 60 er Jahren hier vergnügen und den Bonde, die Straßenbahn als Wahrzeichen und ganzer Stolz des Viertels.
2011 gab es einen schweren Unfall, sodass sie seitdem nicht mehr verkehren darf, zur WM aber hoffentlich auf neuen Schienen wieder umherkreisen kann.

Meine Busfahrten durchqueren dieses Viertel täglich und aufgrund des klapprigen Busses auf dem Kopfsteinpflaster schreit man sich dann auf fast jeder Fahrt zu, wie traurig es doch ist, dass der Bonde nicht mehr da ist. 

Diese Trauer wird im Gespräch und vor allem in Bildern ausgedrückt. Bilder die ich im Vorbeirauschen im Bus immer wieder erhaschte, schaute  ich mir heute mit  etwas mehr Zeit an und lief mit meiner Kamera die wunderschöne Strecke des Bondes ab....Hier ein paar Eindrücke...













Widerstand///Land-grabbing

Kürzlich erwähnte ich, mit 50 anderen Brasilianer/innen im Kloster zu wohnen, da diese einen Kurs zu „Sozialarbeit“ machen...
Inzwischen stellte sich heraus, dass viel mehr dahinter steckt und sie Teil der Widerstandsbewegung „MST“ (movimiento dos trabalhadores rurais sem terra- Bewegung von Landarbeitern ohne Boden) sind und im Rahmen davon, eine Fortbildung besuchen.
Daraufhin entstanden einige spannende Gespräche über die ungleiche Landverteilung in Brasilien bzw. in verschiedenen Ländern Lateinamerikas.

MST ist die größte soziale Bewegung Lateinamerikas mit insgesamt 1, 5 Millionen Mitgliedern/innen und ist in 23 von 27 Staaten Brasiliens vertreten.
Sie entstand aufgrund der extrem ungleichen Verteilung von Landfläche.
In Brasilien besitzen 10 % der Bevölkerung 80 % des Landes. Das bedeutet, dass 20 Großgrundbesitzer über 20 Millionen Hektar Land verfügen, 3,3 Millionen Kleinbauern/innen haben zusammen genau einmal so viel Land.

Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und ökologischen Belastungen wird landwirtschaftlicher Boden immer mehr zu einem knappen Gut, weshalb Investoren (u.a. die deutsche Bank!) aus Industrie- und Schwellenländern große Agrarflächen in vielen Entwicklungsländern aber unter anderem auch in Russland oder Brasilien  sichern. (land-grabbing)

Kleinbauern fehlt oftmals das Landrecht und sie verfügen über keinen offiziellen Besitztitel, sie bewirtschaften nach traditionellen Nutzungs- und Besitzübereinkünften. Das macht es für Investoren besonders leicht, Landfläche zu pachten oder kaufen, auch wenn ca. die Hälfte des Landes lediglich als Spekulationsobjekte dient und nicht bewirtschaftet wird. Landlose sind staatlichen Institutionen ausgeliefert, Großgrundbesitzer/innen aufgrund von Korruption weitgehend straffrei.


Doch die Spekulation scheint erfolgreich zu sein.
Aufgrund des weltweit zunehmenden Fleischkonsums und der hohen Nachfrage nach Biodiesel ist eine wachsende Sojaproduktion von Nöten.

Soja ist das Nahrungsmittel für die auf Massentierhaltung basierende Fleischproduktion. Auch wenn es zunächst ein sinnvoller Fleischersatz scheinen sollte, landet nur ein geringer Teil in Lebensmitteln wie Tofu, Sojasoße, Sojamilch oder Margarine.
Fakt ist, dass 250 Millionen Tonnen Soja angebaut werden, dreiviertel der Produktion in Lateinamerika und allein ein Viertel in Brasilien –vor allem für die Fleischproduktion.
Mit Unterstützung der Militärregierung in den 70er Jahren breitete sich die Produktion immer mehr, von Süden kommend,  Richtung Amazonasgebiet aus.
Neben der Vernichtung von Landflächen und ökologischen Problemen geht aus der Produktion die gewaltsame Vertreibung der ländlichen und indigenen Bevölkerung hervor. Der Anbau rentiert sich nur im großen Stile, weshalb nur Großunternehmen profitieren können. Für genmanipulierte Samen, Technik und Pestizide fallen hohe Kosten an. Das Modell basiert auf einer Mechanisierung der Landwirtschaft und verlangt nur wenige Arbeitskräfte.

Die Bevölkerung wird also von ihren Möglichkeiten beraubt und migriert auf der Flucht von Armut, Arbeitslosigkeit und Gesundheitsgefahren in die Städte.

MST protestiert gegen die Vertreibung und verlangt nach Umverteilung.
Seit 1985 besetzt die Organisation ungenutztes bzw. unrechtlich erworbenes Land. Es werden Prozesse gegen die Landbesitzer geführt. Wenn diese gewonnen werden können, werden Siedlungen für die ehemals Landlosen errichtet. Es entstehen kooperative Bauernhöfe, Schulen und seit neustem sogar eine Uni.
Bisher konnten bereits für 400 000 Familien offizielle Landtitel erreicht werden.

1991 erhielt die Organisation den alternativen Nobelpreis.